Westalpen
Savoyen, Dauphine, Piemont, Hochprovence
28.09. - 04.10.2003
28.9.: Aus einer anfänglich geplanten Tour mit 5-7 Landys
sind am Ende nur noch zwei übrig geblieben, die sich an dem
regnerischen Morgen südlich von Frankfurt treffen: Andi mit
seinem 425.000km-Landy und ich im 110 SW. Gemütliche Fahrt
über Karlsruhe ´gen Süden Richtung Schweizer Grenze.
Durch ständigen Funkkontakt kommt keine Langeweile auf. Gegen
Mittag erreichen wir die Schweiz, die uns mit strömendem Regen
begrüßt. Bis Genf hält das Mistwetter an, wo wir
auf französischem Gebiet die Autobahn verlassen. Der erste
Paß auf unserer Tour ist der
- Col de Aravis (1486m),
wo wir über wolkenverhangene Serpentinen den Weg nach Süden
suchen. In Albertville wird am späten Nachmittag vollgetankt,
und am frühen Abend erreichen wir den Einstieg zum
- Col de la Madeleine (1993m).
Nebel, Regen und einsetzende Dunkelheit begleiten uns auf dem Weg
nach oben. Kaum ein Auto begegnet uns auf der berühmten Passstraße,
die fast auf jeder Tour de France zur Herausforderung der Radprofis
wird. Namen wie "Jan", "Beloki" und an jeder
Steigung "allez, allez" finden sich kurz vor der Passhöhe
auf dem Asphalt. Kalter Wind pfeifft auf knapp 2000m, so dass wir
uns auch gar nicht lange dort oben aufhalten. Dunkel wird´s
langsam und wir wollen noch kurz hinter dem Pass die Asphaltstraße
verlassen und einer Piste in Richtung Tal folgen. Wir kreuzen grüne
Skipisten, Liftanlagen und fahren auf einem Wirtschaftsweg an verschiedenen
Almhütten vorbei. Abendessen an einem See bei Regenpause noch
hoch über dem Tal. Ab und zu geben die abziehenden Wolken den
Blick auf die abendlichen Gipfel frei. Die Abfahrt ins Tal führt
uns wieder in die dicken Wolken, bei Regen und schlechter Sicht.
Im Dunkeln erreichen wir gegen 20 Uhr den Ort La Chambre, wo wir
einen mäßigen Campingplatz finden. Obligatorisch - wie
bei jeder Reise - ist das Arrival Beer am Landy.
29.9.: Strömender Regen trommelt während der Nacht auf
das Dach, aber am nächsten Morgen ist die Regenfront durchgezogen.
Ab und zu zeigt sich sogar die Sonne. Kaffee und Tee mit warmer
Milch, die Andi jeden Morgen aufkocht, weckt die Lebensgeister.
Am Vormittag erreichen wir den
- Col de Telegraph (1566m).
Dichter Nebel macht die Auffahrt spannend, entgegenkommende LKW
und Fahrradfahrer mahnen zu größter Vorsicht. Doch der
Telegraph ist nur ein kleiner Hügel im Vergleich zum
- Col de Galibier (2646m),
den wir hinter dem Skiort Valloire erklimmen. Wir sind schon lange
über den Wolken und passieren in der Sonne schöne Streckenabschnitte.
Wieder zieren die Namen berühmter Radfahrer den Straßenbelag.
Auf dem Galibier hat es heute Nacht zum ersten Mal geschneit. 2
cm Neuschnee überzuckern die Passhöhe, die wir erneut
bei dichtem Nebel erreichen. Telegraph und Galibier sind durchweg
asphaltiert, zweispurig und einfach zu befahren. Über den
- Col du Lautaret (2056m)

fahren wir talwärts Richtung Briançon. Bei schönem
Sonnenschein wird es merklich wärmer und wir gönnen uns
eine Pause an einem See. Kurz hinter dem Ort Chantemerle ist der
Weg ausgeschildert zum
- Col du Granon (2413m).
In engen Kehren führt das Sträßchen hinauf auf
den Pass mit herrlichem Ausblick auf die nahen schneebedeckten Gipfel
des Meilje und des Chaberton. Neben der alten Militärstation,
die sogar durch einen Posten besetzt ist, befindet sich ein großer
Parkplatz, hinter dem der Asphalt aufhört. Mit einem Hinweis
auf ein militärisches Gebiet passieren wir ein Schild und folgen
dem Schotterweg. Die Piste ist oft recht schmal, und gerade vor
scharfen Kurven müssen wir auf evtl. Gegenverkehr achten. Doch
jetzt im Herbst ist nichts mehr los auf den Wegen; wir sind fast
immer die einzigen. An einer Weggabelung sehen wir auf einem Gipfel
ein großes, rundes Fort. Wir folgen dem schmalen Weg, der
an einigen militärischen Ruinen und ehemaligen Munitionsdepots
vorbeiführt und mit jedem Meter Höhe und mit jeder Serpentine
immer enger wird. Viele Kurven schaffe ich nicht mehr in einem Zug
und muss immer wieder zurücksetzen. Mit eingelegter Untersetzung
ist der Aufstieg aber recht einfach, und die letzten Höhenmeter
werden mit Anlauf und viel Schwung auf den kleinen Vorplatz des
Forts gemeistert.
- Fort de Lenlon (2508m)
Das kreisrunde Fort befindet sich in einem guten Zustand. Allerdings
ist der Eingang verschlossen und die gesamte Anlage durch einen
schweren Zaun gesichert. Super Aussicht über die noch fast
schneefreien Berge bis zum Monte Viso. Die Abfahrt gestaltet sich
wie so oft anstrengender als so manche Aufahrt. Ohne zu kuppeln
und zu bremsen schiebt der Landy die steilsten Passagen hinunter.
Relativ flach und einfach folgen wir dem Weg bis zum Ende, wo wir
nach ca. 5 km das
- Fort d'Olive (2239m)
erreichen. Diese große Anlage diente früher der Kontrolle
des Claréetales und befindet sich in einem relativ guten
Zustand.

Auf der anderen Seite des Tales zeigt sich der mächtige Chaberton,
tief unten im Tal die Orte Névache und Val-des-Prés.
Auf der Rückfahrt passieren wir wieder die Militärstation
und biegen etwas weiter unten ab zum
- Col de Buffère (2431m).
Diese Stichstraße ist ca. 4 km lang, grob geschottert und
endet am relativ unspektakulären Pass. Schöne Aussicht
auf das Massif des Ecrins und weitere Gipfel. Im Großen und
Ganzen aber keine lohnenswerte Strecke. Wir werden auf dieser Piste
tüchtig durchgeschüttelt und versuchen jedem größeren
Stein auszuweichen, was aber nicht immer gelingt. Über den
Granon geht es wieder ins Tal hinab in das mittelalterliche Briançon
(1321m). Die Stadt ist die höchstgelegene in den Alpen und
wird von einer großen Festung überragt. Die Suche nach
einem Campingplatz ist etwas schwierig, da um diese Jahreszeit viele
Plätze geschlossen haben. Etwas außerhalb in La Vachette
finden wir einen einigermaßen akzeptablen Platz.
30.9.: Es war eine kalte Nacht unter sternenklarem Himmel. Die
ersten vorsichtigen Sonnenstrahlen wecken uns am Morgen. Bis unser
Lager wieder zusammengepackt ist, vergehen bis zur Abfahrt zwei
Stunden. So sind wir auch an diesem Tag erst gegen 10 Uhr auf der
Straße zum
- Col de Montgenevre (1853m).
Dieser asphaltierte Pass ist die Hauptverbindungsstraße von
Briançon nach Sestriére in Italien. Hinter jeder Kehre
werden wir durch Ampeln und Baustellen aufgehalten, da die Straße
großflächig ausgebaut und für die Olympischen Spiele
2006 in Turin vorbereitet wird. Die Grenze nach Italien liegt oben
auf dem Pass im Ort Montgenevre. Rechts und links des Ortes liegen
die Liftanlagen, die in wenigen Wochen ihren Betrieb aufnehmen.
Es sieht einfach umwerfend schreckich hier oben aus: Liftstationen,
Sessel- oder Schlepplifte, Skikanonen, Kabel und Stützpfeiler
soweit das Auge reicht. Alle Hänge um uns herum sind damit
zugebaut. Der Ort selbst besteht nur aus Hotels, Restaurants, Skiverkauf
und Discos. Dazu ein riesiger Parkplatz am Rand des Geschehens.
Die Abfahrt ins italienische Claviere gleicht einer Schnellstraße:
Mehrspurig führt die Trasse Richtung Susa und weiter zur Autobahn
nach Turin. Dazwischen immer wieder Baustellen, Bagger, Bausünden
und Beton, die im olympischen Winter vom kalten Weiß verdeckt
werden. Wir biegen ins Tal der Chisone Richtung Sestriére
ab. Dieser bekannte Wintersportort übertrifft an Hässlichkeit
alles, was der flachländische Küstentourist je zu befürchten
gewagt hätte. Wir sind schnell wieder aus dem Beton raus und
rollen das Tal abwärts von Baustelle zu Baustelle, an Skisprunganlagen
und Rodelbahnen vorbei. Wenige Kilometer hinter dem Ort Fenestrelle
weist ein kleines Schild nach links zum Colle delle Finestre sowie
zum Colle dell Assietta. Hier unten im Tal wird auf die Besonderheiten
hingewiesen: Z.B. ob die Straßen überhaupt offen sind
und wer wie schnell mit welchem Gewicht die Straßen passieren
darf. Wir sind wieder alleine unterwegs. Kein Kolonnenverkehr, keine
Ampeln, keine Staus. Steil und anfangs asphaltiert gewinnen wir
in mehreren Kehren schnell an Höhe und nach ca. 5 km endet
im Wald der Asphalt. Kurz darauf stehen wir an der Abzweigung zum
Colle delle Finestre und zur
- Assietta Kammstraße (2566m).
Über 40 km ist diese wunderbare Schotterstraße lang
und führt ohne größere Steigung oder Gefälle
auf dem Bergkamm zurück in Richtung Sestriére. Oft ist
der Weg durch Abbrüche oder überhängenden Fels eng,
aber man kann dem kompletten Verlauf ohne größere Probleme
folgen. Meistens ist der Weg so breit, dass Gegenverkehr ohne weiteres
passieren kann. Trotzdem sollte man vorsichtig fahren, denn die
Straße hat selten eine Sicherung, Leitplanken oder ähnliches
und es geht sehr oft sehr tief und steil hinunter (was wir aber
im dichten Nebel fast nie erkannt haben...). In der Nachmittagssonne
haben wir den höchsten Punkt erreicht. Der Blick streift über
zerschundene Skipisten und umgepflügte Almwiesen. An einer
Skistation erfahren wir mehrsprachig, dass hier oben der Skipass
Susa/Oulx seine Gültigkeit verliert, wenn man den Doppel-Superlift
aus Sestriére kommend nutzen will. Na denn, wir überlassen
dem Winter das weitere, was sich hier in den nächsten Monaten
abspielen wird und folgen dem Wirtschaft- und Versorgungsweg hinab
ins Tal. Bis auf die ein oder andere Bausünde gegen Ende des
Weges ist die Assietta Kammstraße aber ein wahrer Leckerbissen,
für den man ca. 3-4 Stunden einplanen sollte. Am Nachmittag
fahren wir zurück über Sestriére und Oulx nach
Bardonècchia. Hier suchen wir vergeblich einen Campingplatz
und nutzen anstelle des Montgenevre den
- Col de l´Echelle (1766m)
zurück nach Briançon. Wir finden einen Campingplatz,
der aber schon geschlossen hat. Das Büro ist zu, der Schlagbaum
unten. Allerdings fahren einige Dauercamper mit Magnetkarte auf
das Gelände, verschwinden in ihren Wohnwagen und lassen uns
immer wieder vor verschlossener Schranke sprichwörtlich im
Regen stehen (es hat nämlich wieder mal angefangen zu nieseln).
Da wir den Schlagbaum nicht mit Gewalt in die Senkrechte befördern
wollen, suchen wir eine andere Möglichkeit des Einlasses. Und
siehe da: Hinter dem Klohaus fehlt doch tatsächlich ein Stück
Zaun - gerade so breit, dass man mit ´nem Landy durchpasst.
Über diesen "inoffiziellen Seiteneingang" gelangen
wir endlich auf das Gelände. Wir können ja morgen bezahlen,
wenn überhaupt noch jemand kommt, was wir allerdings stark
bezweifeln.
01.10.: Regen am Morgen und die Überlegung, wie es heute weitergehen
soll. Wir wollten heute auf den Colle Sommeiller, befürchten
aber, dass wir aufgrund des schlechten Wetters gar nicht hochkommen
bzw. in Schnee geraten. Wir wollen es aber auf alle Fälle versuchen
und evtl. den Anstieg abbrechen, wenn es zu gefährlich werden
sollte. Über den Col de l´Echelle geht´s wieder
zurück nach Bardonècchia, wo die Straße auf den
Sommeiller beginnt. Die Fenster beschlagen, die Lüftung auf
Hochtouren, während das Wasser durch sämtliche Ritzen
seinen Weg ins Wageninnere findet, suchen wir die Straße auf
das Hochplateau. Teilweise kommt uns das Wasser in Sturzbächen
entgegen, und bei schlechter Sicht nehmen wir eine falsche Straße,
die nach wenigen Kilometern endet. Schließlich finden wir
das Hinweisschild nach Rochemolles und zum
- Colle Sommeiller (3050m).
Der Sommeiller ist der z. Zt. höchste Punkt, den man in den
Alpen mit dem Auto anfahren kann. Die Strecke ist 32km lang und
bis Rochemolles geteert. Danach beginnt fester Untergrund, der heute
aber teilweise aufgeweicht und schmierig ist. Den vereinzelten Steinen,
die uns im Weg liegen, können wir leicht ausweichen. Lediglich
die Kurven sind aufgeweicht und ausgefahren. Bei schlechter Sicht
passieren wir den Lago di Rochemolles und erreichen nach knapp einer
Stunde und 15 km das Rifugio Scarfiotti (2156m). Das Haus ist im
Sommer bewirtschaftet und liegt am Ende des Tales von Rochemolles,
eingerahmt von den Bergflanken der Rognosa d´Etache. Bis hierhin
ist die Fahrt ziemlich einfach, breit ausgebaut und ohne Schwierigkeiten
auch für normale PKW zu befahren. Größere Steine
und Schlaglöcher sowie - je nach Witterung - ein glitschiger
Belag sind die einzige "Herausforderung" an die Fahrer.
Hinter dem Rifugio wird der Weg aber steiler und schmaler. In 16
engen Kehren geht es hinauf auf knapp 2500m. Einige Kehren sind
für den 110er zu eng, so dass ich öfters zurücksetzen
muss. Auch hier nutze ich die Untersetzung und ziehe mich im 2.
oder 3. Gang die Piste hinauf. Das lästige Kuppeln entfällt,
ein kurzer Tritt auf das Gaspedal gibt mir bei jedem Hindernis oder
steilen Passage genug Vortrieb. Die Bedenken, dass ich aufgrund
des Wetters, der Reifen oder einfach meiner Fahrweise irgendwann
nicht mehr weiterkommen könnte, sind verflogen: Gemächlich
schnurrt der Landy ohne große Anstrengung den matschigen Weg
hoch, für die XPC-Reifen in Standardgröße nicht
das geringste Problem. Kein ungewohntes oder beängstigendes
Geräusch aus dem Motorraum, kein Rasseln oder Klopfen, alle
Zeiger im grünen Bereich - hier oben knapp über den Wolken
auf fast 3000m, Sturm und 4 Grad Celsius. Die letzten 12 steilen
Kehren passieren wir am Ende eines Hochtales und erreichen nach
zwei Stunden Fahrt das Hochplateau auf 3050m. Neuschnee, Sturm und
Kälte empfangen uns.
In rasender Geschwindigkeit ziehen die Wolkenfetzen an uns vorbei.
Teilweise liegt die Sicht nur bei wenigen Metern, in der nächsten
Sekunde ist der Blick aber plötzlich auf entfernte Gipfel frei.
Die Reste des in den sechziger Jahren von einer Lawine zerstörten
Refugio d´Ambin trotzen vergeblich der Witterung. Andi versucht
im Sturm, die letzten Meter auf einen vorgelagerten Gipfel zu erklimmen.
Er ist über Funk kaum zu verstehen und hört sich an, als
sei er kurz unter dem Everest Gipfel in eine Notlage geraten. Ich
erkenne ihn nur schwer da draußen, wie er sich auf dem Gipfel
gegen den Sturm lehnt. Spektakuläres Szenario in den Alpen!
Die Abfahrt gestaltet sich nicht weniger langwierig als die Auffahrt:
Viele Kehren müssen im größtmöglichen Bogen
angefahren werden, und nicht immer reicht die Breite des Weges,
um in einem Zug die Kurve zu nehmen. Andi hat mich an einer breiteren
Passage überholt und ist mit seinem 90er schon bald viele Meter
unter mir verschwunden. Am frühem Nachmittag erreichen wir
wieder Bardonècchia. Hier unten hat der Regen auch endlich
aufgehört. Zum dritten Mal fahren wir über den Echelle
nach Briançon und von dort weiter nach Süden. Die fast
schon südfranzösische Sonne taucht die abendliche Landschaft
in ein warmes Licht, als wir nahe Embrun einen schönen und
wieder "geschlossenen" Campingplatz erreichen. Uns kommt
der leise Verdacht, dass viele Plätze offiziell geschlossen
sind, allerdings von Durchreisenden genutzt werden dürfen.
Wegen der Dauercamper sind einige Toiletten und Duschen offen, allerdings
fehlt sonst jeglicher Service, den man von der Hochsaison üblicherweise
gewohnt ist. Uns soll es egal sein. Wir suchen uns einen netten
Platz, der zum Übernachten reicht. Mehr - außer einer
Dusche - wollen wir ja auch nicht.
|